Brief: „Erst kommt der Hass, dann die Hässlichkeit“

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Bild: Bing Create | Stichwort: Expressionismus


Ein nicht abgeschickter Brief an eine Pfadfindergruppe vom 12. November 2023:

Ich vermute, die „Hässlichkeit“ könnte ein interessantes Thema für eine Gurnemanzrunde sein. Man könnte die Reflexion mit Werten wie Toleranz, Respekt und Vielfalt verbinden, oder auch mit der Fahrt, mit Gemeinschaft und mit dem Einzelnen. Hier möchte ich aber frecher Weise einige Erlebnisse teilen, die sich bei mir zuletzt mit medialen Inhalten zum Thema körperliche „Hässlichkeit“ verknüpft haben.

Jedenfalls sind mir diesen Sommer hin und wieder auf den Gehwegen einige für mich sehr attraktive Frauen begegnet, die sich beinfrei und unrasiert zeigten. Mit weitaus mehr Beinhaaren als ich und sogar mehr als andere hell- und selbst dunkelhaarige Männer. Ich war irritiert, lenkte meinen Blick jedoch rasch von den Beinen ab und fand mich fasziniert von den schönen und trotzig-stolzen Gesichtern junger schwarzhaariger Frauen. Ich war nicht nur erstaunt, sondern auch beeindruckt – vor allem vom Mut, denn die Ablehnung anderer ist wohl vorprogrammiert. Genauso in der nachfolgenden Auseinandersetzung mit meinen eigenen Gedanken bleibt diese Zurschaustellung absolut bewundernswert für mich. Weil ich darüber nachdenke, was ich selbst alles aus Scham und aufgrund der Angst vor den Blicken anderer kaschiere, verstecke oder verheimliche. Gleichzeitig empfinde ich Unbehagen für die Momente, in denen mir hässliche Anteile „auffallen“. Schwerwiegend dabei vor allem, wenn ich diese Person daraufhin abwerte. Dafür schäme ich mich. Dabei frage ich mich, woher das alles kommt (bei mir persönlich oft auch ungesunder Selbstschutz).

Und ja, ich gestehe, ich hätte Angst vor zu vielen Haaren. Aber ich wünschte mir von mir selbst nicht nur, mich daran zu gewöhnen, sondern sie gernhaben zu können, wenn ich mich für die Frau interessiere oder sie liebe. Im Allgemeinen möchte ich einen wertneutralen Blick wiederentdecken oder entwickeln, weil urteilen und verurteilen immer auch Entmenschlichen bedeuten kann.

Zudem ist Hässlichkeit kein rein individuelles Thema, sondern, wie so oft, ein gesellschaftlich-politisches!

Die Reflexion darüber könnte zu einem tieferen Verständnis und zu Akzeptanz führen, im Grunde zu einer besseren Gesellschaft.

Deshalb möchte ich noch auf die medialen Anknüpfungen hinweisen, die mir widerfuhren:

Vor Kurzem ist ein unglaublich schönes Buch über „Hässlichkeit“ von Moshtari Hilal erschienen. Ein Buch, das sehr intim, hoch politisch und poetisch, historisch und aktuell und immer tiefgründig ist. Es behandelt das Thema „Hässlichkeit“ und die Ursachen und Folgen des herrschenden Schönheitsregimes, es handelt von Scham und Schönheitsoperationen, von antiken Statuen und Leprastationen, von Leben und Tod und davon, dass Liebe eine Lösung sein kann, auch weil die Idee des Schönen mit Gewalt und Ausgrenzung zu tun hat. Ein kleines literarisches Kunstwerk – unglaublich leicht, dabei jedoch absolut informativ und berührend geschrieben.

Externer Link: Buch „Hässlichkeit“ von Moshtari Hilal

Ich wurde darauf aufmerksam, nachdem ich die Sternstunde-Philosophie-Folge „Tabu Hässlichkeit: Warum Schönheit grausam ist“ gesehen hatte.

Ich empfehle auch diese Sternstunde-Folge als YouTube-Video, da das Thema übersichtlich aufbereitet wird.

Externer Link: Video „Tabu Hässlichkeit“ von Sternstunde Philosophie

Auch ich bin schön.
Auch ich bin hässlich.

Viele Grüße aus dem Off

frolic


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