Dieser Text erschien erstmals am 21. November 2009.
Gebranntes Kind
Ich liebe meinen Stadtbezirk. Dort verlebe ich meine Einsamkeit. Stille regiert, wie in einem kleinen Dorf am Rande der Zivilisation – gemütliche Stille. Man kennt sich, man kennt mich … oberflächlich genug, Tiefe finde ich in meinen vier Wänden.
Die Wogen der Wellen – Aufgeregtheiten und das Glitzern der Stadt lese ich aus der Zeitung. Trubel und Lärm dringen nicht an meine Ohren. Ich liebe meinen Stadtbezirk … Er ist meine Oase der Stille.
Manchmal entfliehe ich meinen schützenden vier Wänden. Dann spaziere ich in der Dunkelheit durch Straßen und Gassen entlang, an abgedunkelten Fenstern vorbei und lausche dem großen Schlaf der Bewohner.
Hin und wieder aber suche ich den Trubel, so wie am Zoologischen Garten – dann treibt es mich zu ihm. Ich besuche ihn am liebsten in einer kalten, nieselregnerischen Nacht. Dumpf spiegeln sich die Lichter auf regennassen Plätzen. Den Rahmen bilden die einnehmenden Hausfassaden mit ihren kulturellen Leuchtreklamen. Ein Gefühl von Aufgeregtheit und Glitzern steigt in mir auf und mischt sich mit meiner Melancholie. Ich bin Mittelpunkt und Beobachter zugleich. Ich liebe diese Oberflächlichkeiten und das ziellose Treiben lassen in den Wogen aus zielstrebigen Menschenmassen.
Herausgeputzte Gruppen sind auf dem Weg nach Irgendwo, ein Irgendwo mit Lachen und Spaß haben – sie treiben vergnügt an mir vorbei.
Auf dem Breitscheidplatz spricht mich ein Dealer an, um mir Gras anzubieten. Mit einer ablehnenden Handbewegung laufe ich an ihm vorbei. Wenn nichts dazwischen kommt, dann verlangt an diesem Abend niemand mehr meine Stimme. Ich trinke noch einen Kaffee und beobachte das an mir vorbei ziehende Volk. Vor Ort gibt es viel zu sehen. Den Musiker am U-Bahn-Gleis, der für seine Darbietungen auf Kleingeld hofft. Die Obdachlosen, die ihr Billig-Bier konsumieren und Hunde streicheln. Rumänische Frauen die Passanten anbetteln und am Weitergehen hindern. Den Beate-Uhse-Store, McDonald’s, ein Kino, Schaufensterscheiben von Mode-Boutiquen, Kunst- und Bücherläden – und überall verstreute Gedenktafeln. Mittendrin immer wieder modisch und schick gekleidete Menschen auf 200 km/h.
Nach wenigen Stunden begebe ich mich zurück, zurück nach Hause.
In der U-Bahn sitze ich mit dem Gefühl, genug gesehen zu haben.
Ich liebe Spaziergänge in der Nacht. Ich liebe den Zoologischen Garten.
Vor allem aber meinen Stadtbezirk und meine vier Wände.
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