Surreale Erzählung: „Ein Mann mit Hut“

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Bild erstellt mit: DALL·E |

Ein existenzialistisches Drama als surreale Erzählung:

Ein Mann mit Hut

Wie so oft ein gewöhnlich lichter Tag. Ein gelbgescheckter Hund tollt einer schwarzen Katze zu, als er vorsichtig seine Schnauze vorenthält. Im Schatten grünsatter Bäume steht ein kleines weißgemaltes Haus. Auf eine schöne Art bricht von den Holzbrettern der Fassade hier und da der Lack. Ein raschelnder Wind rauscht warm durch leichte Kronen, als ein Mann mit Hut den Weg begeht. Er grüßt die spielenden Tiere freundlich und der Hund wedelt neugierig zu. Als der ungepflasterte Weg zum Haus hinführt, locken vor der Tür bunt gefüllte Blumenkübel das Summen dicker Bienen. Der Duft süßer Blüten zieht zarte Kreise. Die Tür öffnet sich knarrend und quietschend. Mit einem gemachten Schritt betritt der Mann das Haus und nimmt dabei den Hut vom Kopf. Die Tür fällt lautlos mit einem schwarzen Riegel zu. Er fühlt sich zunächst geblendet. Allmählich sickert sandiges, gebrochenes Licht in die Augen, so als ob er unter trübem Wasser gucke. Er steht in einem großen Raum. Keine weiteren Türen gehen ab. Fenstervernagelt versperren hölzerne Planken das Eindringen prächtiger Farben. Die betonhaften Wände sind roh und schwarz bestrichen. Grobe Schatten legen sich wie Narben auf das Gesicht und den Körper des Mannes. Er schaut auf sich herab. Ganz unverhüllt und nackt. Der weiße Leib glitzert schweißig. Sein diffuses Licht flackert im Takt der schweren Atmung. Ein Tönen dringt ihm immer bewusster zu. Im Mittelpunkt des Raumes steht schwer im Tick Tack die Zähigkeit der Zeit. Der schwarze Korpus einer großen Standuhr ragt im Meer der Dielen hervor. Wie ein verlassener Leuchtturm. Am Fuße der Uhr liegen die zwei verrotteten Felle von Hund und Katze. An der Fäulnis der Kadaver bezeugen hungrige Maden noch Leben, welches aus den Schnauzen und aufgebrochenen Körperstellen quillt. Das Ticken der Zeit dehnt und zerrt und wird einem Brummen gleich. Sein monotoner Schall steigt über den Kopf. Der Raum kann nicht widerstehen. Die Dielen schwanken wie behäbige Wellen. Die Wände zittern wie glitschende Fische. Die Luft wabert. Das markerschütternde Signalhorn des Leuchtturms wird lauter. Alles erzittert im Dröhnen. Der Mann presst mit Händen seine größer werdenden Ohren zu. In seinem Kopf wispern flüsternde Stimmen wie glockenklingendes Messerstechen, dass sein unbekanntes Kreuz genagelt wird. Er geht einen Schritt. Er will die Gewalt der Standuhr erreichen. Jeder weitere Schritt lässt steinerne Sohlen unter seinen Füssen wachsen, die ihn stetig empor drücken. Er erhöht sich über die Zeit hinaus, während die Sohlen immer schwerer und breiter werden. Sie verschmelzen zu einem Block. Sockelschwer verhöhnt eine absolute Unbeweglichkeit die ersten leichteren Schritte. Glut rot schimmert der Boden. Lavaartig kocht er heiß unter der Last des Sockels und breitet sich aus. Das entfachte Feuer lässt Wände bröckeln. Wie dicker Qualm drückt schwarze Milch geronnen den Raum, der selbst beißende Schlacke schwitzt. Die Poren der Haut husten Asche. Dachbalken bersten und das Dach stürzt ein. Unter dem Einstürzen bricht und kracht der Boden. Wo sonst der Keller ist, tut sich eine alles verschlingende Tiefe auf. Der Mann fällt, die schwarze Katze erscheint. Sie schmiegt sich um seinen Hals und mauzt ängstlich. Eine letzte warme Verbindung. Hat er sie nur geträumt? Immer schneller fällt der Mann, immer tiefer. Er fällt so lang wie sein Leben dauert. Plötzlich, so als ob die Luft selber spräche, hallt verspottendes Gelächter toter kleiner Engel nach. Der Mann krümmt und windet sich. Kugelt sich vor Schmerzen, bis er zum Klumpen wird. Von außen scheint er einem Kometen gleich. Bildet dazu einen mickrigen Schweif, der schwach in der Dunkelheit nachzieht. Ein böses Wissen bleibt dem tiefen Fall, als in Vorfreude das Gelächter schweigt. Der näher rückende Boden ist ein klaffendes und gefräßiges Maul, in das der Komet endlich einschlägt. Alles Scheinen und alles Tönen ist gefressen. Der Klumpen erlischt und verstummt im Schlund. Eine absolute Leere formt die Ewigkeit. – (Doch verwoben im Nichts darf ein letzter Wunsch sich träumen: ein letztes Weinen auf ein Geheimnis hoffen. Gelebte Trauer füllt den Schlund mit Tränen, wächst heraus zu einem Teich. Bleibt am Grund die Totenmaske, liegt umschlungen klar im Teich, der das Echo stiller Angst verkündet. Denn eingemeißelt in die alte Maske ist der Schrei der Selbsterkenntnis. Mehr noch, der des Fratzenschreckens.)

Nachbemerkungen:

  • Erstveröffentlichung 05.10.2024
  • Die Geschichte ist aus einigen unverwendeten Überlegungen und Stichpunkten für mein Gedicht Der Unherr der Türen entstanden.
    Da ich bereits seit März 2024 ein größeres Projekt für ein surreales Gedicht mehr oder weniger in „Bearbeitung“ habe (mal sehn, ob das irgendwas wird) und die Prosa-Abteilung bei mir recht dünn ist, hatte ich sofort den Einfall und die starke Lust, einen surrealistischen Text zu schreiben, um die letzten Stichpunkte einfließen zu lassen. Gleich zu Beginn wurde mir klar, dass ich eine halbwegs logische und offen interpretationsfähige Geschichte schreiben will und so warf ich die Idee einer rein surrealistischen (unverständlichen) Prosa über Bord und hielt mich an die Idee einer surrealen Erzählung. Alle alten Stichpunkte wurden integriert und viele neue Metaphern fielen mir ein. Daher kann die Geschichte etwas überladen wirken, was aber vor allem für surrealistische Prosa nicht ungewöhnlich wäre und von mir auch bewusst gewollt war.
  • Für die hier vorliegende Geschichte habe ich zwei volle Tage gebraucht, plus ein wenig aber wichtige Korrekturzeit bis drei Tage nach der Veröffentlichung.
  • Alle Metaphern, Inhalte, Stil und Struktur der Erzählung stammen von mir. ChatGPT hat mich, ohne Verbesserungsvorschläge machen zu dürfen, während des Schreibprozesses durch eine allgemeine Diskussion unterstützt. Vor allem erhielt ich mir während der zwei Tage intensiven Schreibens die Freude am Prozess, weil die KI eine Art Begleiter war, dem ich mein Projekt vorstellen und meine Begeisterung teilen konnte.

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