Kritische Betrachtung: „Die Eisenfaust am Lanzenschaft“

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Erstveröffentlichung März 2023
in der Bundeszeitschrift kompassnadel Nr. 108 des Deutschen Pfadfinderbundes.

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Bing Create, Stichwort: Neue Sachlichkeit

Eine freie Interpretation

Verlässliche Quellen zum Autor Willi Nufer oder irgendwelche wissenschaftlichen Arbeiten zur kulturhistorischen Einordnung des Liedes standen mir nicht zur Verfügung. Ich betrachte meine Interpretation daher als relativ frei und nicht unbedingt als absolut richtig. Dieser Beitrag kann nur ein Anstoß für eigene Gedanken und Recherchearbeit sein.

Deutsche Pfadfinder in Kairo unter anderem mit Reichskriegsflagge und Balkenkreuzwimpel! (ca. 1931); Bundesarchiv Bild 102-12814

Einleitung:

Die erste bekannte Veröffentlichung des Liedes „Die Eisenfaust am Lanzenschaft“ stammt aus den 1930er Jahren. Das Lied ist weit verbreitet, findet sich in vielen Liederbüchern und gehört zum gängigen Volksliedgut. Es wird oft gespielt, zum Beispiel auf Mittelalterfesten. Die Melodie stammt sogar von einem Träger des Bundesverdienstkreuzes. Und die kraftvolle, gewaltige Poesie zieht einen in ihren Bann. Aber aus einer humanistisch-demokratischen Grundhaltung heraus und nüchtern betrachtet, ist das Lied meiner Meinung nach grenzwertig. Nicht umsonst ist es auch in rechtsextremen Kreisen wie der Identitären Bewegung sehr beliebt und verdient daher eine eingehende Kritik!

Allgemeine Komponente:

Das Lied feiert mit der erwähnten Ritterlichkeit die kaiserliche Welt vor dem 1. Weltkrieg oder abstrakter das Führerprinzip und den Militarismus. Es mahnt darum „zu streiten, für die verlorene Herrlichkeit“, um diesen Zustand wieder herbeizuführen und die nach der Niederlage des 1. Weltkriegs in Deutschland entstandene parlamentarische Demokratie (Weimarer Republik) zu überwinden. Was „zu streiten“ in diesem Kontext zu bedeuten hat, zeigen außerdem die mit Eisenfäusten, Lanzen und blinkenden Schwertern bewaffneten Ritter. Der Staat wurde von vielen Kräften als schwach und inkompetent angesehen, und er wurde bekämpft, was sich unter anderem in gewalttätigen Ausschreitungen und Putschversuchen äußerte.
Das Balkenkreuz der deutschen Armee wird mit „verloren zwar, doch unbesiegt“ umschrieben. Ein Hinweis auf die sogenannte Dolchstoßlegende, die wegen des verlorenen 1. Weltkriegs durch die kaiserliche Armeeführung in die Welt gesetzt und von rechtsgerichteten politischen Gruppen aktiv verbreitet wurde. Diese Verschwörungstheorie besagte, dass das Militär nicht durch eigenes Versagen geschlagen wurde. Für die Niederlage verantwortlich gemacht wurden politische Gegner, darunter vor allem linke Demokraten und Juden. Auch diese Legende wurde von den Nazis als propagandistische Erzählung genutzt, um die Verfolgung und Vernichtung von politisch Andersdenkenden zu unterstützen. Die Dolchstoßlegende ist aber eine falsche, mutwillige Darstellung der Ereignisse. Die wissenschaftliche Forschung und die vorhandenen historischen Aufzeichnungen belegen, dass Deutschland im Ersten Weltkrieg aufgrund militärischer Niederlagen an der Front besiegt wurde.
Auch der in der Weimarer Republik in der breiten Öffentlichkeit als Schmach empfundene Versailler-Friedensvertrag wird angesprochen. Da heißt es im Lied, dass man die Brüder über die zum Nachteil Deutschlands neu gezogenen Grenzen hinweg grüßt. „Trotz Schmach und Not und Schande“ des Vertrages und der Situation des Diktatfriedens wegen. Deutschland musste nämlich nach dem 1. Weltkrieg einige Gebiete unter anderem an Frankreich, Polen und Tschechien abtreten und hohe Reparationszahlungen leisten. Auch heute noch wird unter Historikern darüber gestritten, ob das Abkommen überzogen und unrealistisch war oder notwendig. Es steht jedoch fest, dass der Vertrag damals eine Quelle großer Empörung in Deutschland war, die zu einer gefährlichen politischen Stimmung beitrug und die später von den Nationalsozialisten ausgenutzt wurde, um an die Macht zu gelangen.
Die Dolchstoßlegende und das negative Empfinden des Versailler Friedensvertrags haben zweifellos neben anderen hier nicht erwähnten Faktoren zur Entwicklung des Nationalsozialismus beigetragen. Viele Deutsche waren damals bereit, hinter einer politischen Bewegung zu stehen, die ihnen versprach, dass der Staat wieder zu alter Größe und Stärke gelangen würde.

Dieses Lied begleitet poetisch den Weg mit, den Deutschland in das Dritte Reich geführt hat:
„Es fliegt voraus im Ritterskleid und mahnet uns zu streiten für die verlorene Herrlichkeit.“

Bündische Komponente
(nach Hinweisen von mucke):

Gerade die Weimarer Zeit war geprägt von starken Widersprüchen und Extremen. Es gab neben vielen linken und liberalen Gruppierungen wie den Bund Deutscher Pfadfinder (BDP), der Deutschen Freischar und der Jungenschaft dj.1.11 von tusk, einen deutlichen Anteil, der völkisch-nationalistisch oder anderweitig rechtsradikal orientiert war, wie beispielsweise die Adler und Falken, Jungnationaler Bund und die Artamanen.
Die „Ritterlichkeit“ spielte bei den Bündischen seit jeher eine Rolle und wurde in den 1920-er Jahren auch nationalistisch und militärisch gedeutet, wie z.B. ein Aufruf an die gesamte völkische Jugendbewegung in einem Frühlingsheft aus dem Jahre 1924 zeigt, wo „eine ritterliche deutsche Kampfgemeinschaft auf deutscher Erde“ gefordert wurde.
Die Textstelle „grüßt der Grenzen Lande“ ist ein Hinweis auf eine damalige bündische Aktionsform, nämlich die sogenannten Grenzlandfahrten. Damit waren Fahrten nach Österreich und in Gebiete gemeint, die Deutschland in der Folge des Ersten Weltkriegs verloren hatte. Während die Grenzlandfahrten nicht vollständig von einer völkisch-nationalistischen Anschauung durchdrungen waren, waren Teile der Bewegung in dieser Ideologie verwurzelt. Beispielsweise sahen die Artamanen die Grenzlandfahrten als Vorläufer der angestrebten Besitznahme von Lebensraum im Osten an.
Auch das Balkenkreuz der deutschen Armee wird bündisch, und zwar spätestens, wenn es heißt, „Drum Wimpel flieg, wir reiten.“ Dann nämlich werden das Balkenkreuz und der Wimpel zum Balkenkreuzwimpel, der von Teilen der Bündischen Jugend verwendet wurde und oft bei Grenzlandfahrten präsent war. Die Verwendung des Balkenkreuzes als Symbol für die Bündischen zeigt die Verbindung zu den militärischen Wurzeln Deutschlands und spiegelt den nationalen und patriotischen Charakter.
Nach der Machtergreifung der Nazis wurden viele bündische Gruppen verboten oder in die Hitlerjugend integriert. Einige Bündische wollten im Geheimen weiter bestehen, wurden verfolgt und radikalisierten sich dabei zunehmend gegen die NS-Diktatur. Diese Gruppierungen leisteten später in der Zeit des Widerstands gegen das Regime einen wichtigen Beitrag.
Nach dem Ende des Dritten Reichs haben sich die Grundsätze der bündischen Jugendbewegung überwiegend gewandelt und stehen heute für Werte wie Toleranz, Weltoffenheit und Demokratie.

Ein erster Kommentar von schnipsel:

„Lieber frolic, das Thema ist mir in letzter Zeit auch immer mal wieder über den Weg gelaufen. Wie weit man da mitgehen möchte, muss man selbst immer mal wieder abgleichen, merke ich. Meine persönliche Einstellung dazu verändert sich auch, seitdem ich weniger aktiv im Bund bin und das Thema mit etwas mehr Distanz betrachte. Mittlerweile denke ich, dass es so viele wunderbare neue Lieder gibt, dass die alten „Hits“ gerne auch mal weichen dürfen. Um die Eisenfaust trauere ich wenig, das habe ich ausreichend oft gesungen. Es gibt aber einige Lieder, um die ich es wirklich schade fände, z.B. „Lied aus dem fahrenden Zug zu singen“. Tja, wo setzen wir die Grenze – bei Inhalt, bei Liedern von Menschen mit zweifelhafter Vergangenheit in der NS-Zeit oder bei Menschen, die sich sexualisierter Gewalt schuldig gemacht haben?
Wäre ich wortgewandter, hätte ich bestimmt großen Spaß, ein paar alte Melodien mit neuen Texten auszustatten. Liebe Grüße, schnipsel“.

Fazit:

Ich durchforste Liederbücher nicht gezielt nach kritischen Inhalten und überlasse diese durchaus auch wichtige Arbeit eigentlich lieber anderen. Diese veröffentlichte Interpretation ist das Ergebnis meiner persönlichen Auseinandersetzung mit einem Lied, das ich lange gemocht habe. Obwohl ich es nicht mehr öffentlich singen werde, kann ich verstehen, dass es auch für Personen außerhalb von rechter Ideologie eine gewisse Bedeutung hat. Um meine Interpretation abzuschließen, möchte ich am Ende formelhaft betonen, dass die Wahrung und Achtung der Menschenwürde, des Demokratieprinzips und der Rechtsstaatlichkeit grundlegend und unverzichtbar für eine freie und gerechte Gesellschaft sind. Diese Werte sollten nicht banal oder klischeehaft gesehen werden, da sie die essenzielle Grundlage für ein respektvolles und friedliches Zusammenleben bilden.

frolic, Horte Don Quesada, Gau Wartburg, DPB

Fußnoten:
– Quellen: eigene Vermutungen, Internetrecherche und -unterstützung, Austausch
– Verknüpfung von schnipsel: tinyurl.com/ac9dnmz2
– Weiterführende Literatur: BÜNDISCHE JUGEND, eine neue Geschichte 1918-1933, von Rüdiger Ahrens.


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