Die Kirche
Die Sankt Gotthardt ist neben Katharinen und dem Dom eine der drei Hauptkirchen der Stadt Brandenburg an der Havel.
Die romanische Westfassade ist der letzte Rest der alten Kirche aus dem 12. Jahrhundert und besteht aus Feldsteinquadern. Zwischen 1456 und 1475 erfolgte mit Backstein der Neubau des Gotteshauses zu einer gotischen Hallenkirche.
Nur wenig an Inventar hat sich von der mittelalterlichen Epoche erhalten, wie zum Beispiel das Taufbecken. Die reichhaltige Innenausstattung stammt überwiegend aus dem 15.-17. Jahrhundert. Die Kirche wird von den Brandenburgern liebevoll das Schmuckkästchen genannt (habe ich jedenfalls mal irgendwo gelesen).
Kirchenwächter
Von März 2021 bis Juni 2024 war ich einer von vielen Kirchenwächtern der St. Gotthardtkirche. Das heißt, ich hielt die Kirche für Besucher offen und war für die ein oder andere Kleinigkeit zuständig. Vor allem strömen in der warmen Jahreszeit Touristen in das Gebäude. An manchen Tagen weit mehr als hundert Menschen. Aber auch Gläubige nutzen die Zeit für Gebet, Stille und Andacht. Je kälter es wird, desto einsamer. Im tiefsten Winter kann es vorkommen, dass sich kein Mensch in die ungeheizte Kirche verirrt.
Im Grunde war der Job wie für mich gemacht. Ich konnte alleine arbeiten und hatte selten Kontakt mit dem Pfarrer oder anderen Kirchenmitgliedern. Die meisten Menschen, die während des Wächterdienstes in die Kirche kamen, habe ich selten mehrmals gesehen.
Die schönste Kirche der Stadt Brandenburg!
Sie strahlt für mich eine romantisch-gemütliche Atmosphäre aus, die einfach einen überwältigenden Charme hat. Auch wenn sie recht dunkel ist. Meine Einschätzung teilten viele Besucher, mit denen ich zu tun hatte. Selbst eingefleischte Kirchentouristen, die alles bis hin zu Notre-Dame de Paris sahen, bezeugten der Kirche ein bezauberndes Charisma.
Nicht ohne Grund habe ich mich jedes Mal gefreut, die Kirche auf ein Neues zu öffnen.
Offene Kirche mit Musik
Absolute Stille in der Kirche war bei meinen Diensteinsätzen nicht zu haben, da ich mich dazu entschied, als angenehmes „Hintergrundrauschen“ Kirchenmusik abzuspielen.
Folgende Musikalben entdeckte ich extra dafür und spielte ich vor allem ab:
- Andreas Hammerschmidt: „Ach Jesus stirbt“
(Vox Luminis, Lionel Meunier & Clematis, 2020)
(Amazon / Spotify)
- Johann Sebastian Bach: „Early Cantatas, Vol. 1“
(Emma Kirkby, Michael Chance, Charles Daniels, Peter Harvey & Purcell Quartet, 2005) (Amazon / Spotify)
- Johann Sebastian Bach: „Early Cantatas, Vol. 2“
(Emma Kirkby, Michael Chance, Charles Daniels, Peter Harvey & Purcell Quartet, 2007)
(Amazon / Spotify)
- Johann Sebastian Bach: „Early Cantatas, Vol. 3“
(Emma Kirkby, Michael Chance, Charles Daniels, Peter Harvey & Purcell Quartet, 2008)
(Amazon / Spotify)
- Dieterich Buxtehude: „Sacred Cantatas, Vol. 1“
(Emma Kirkby, Suzie LeBlanc, Peter Harvey, Purcell Quartet, 2003)
(Amazon / Spotify)
- Dieterich Buxtehude: „Sacred Cantatas, Vol. 2“
(Purcell Quartet, Emma Kirkby, Michael Chance, Charles Daniels & Peter Harvey, 2005)
(Amazon / Spotify)
Meine Wiedergabelisten lockerte ich hin und wieder mit Vogelgezwitscher auf. Folgendes Album hatte ich dafür entdeckt:
Kleine Notizen
Tageseinnahmen:
Als Kirchenwächter verkaufte man während den Öffnungszeiten auch Postkarten, Bücher und anderen Kleinkram an Touristen und nahm Spenden entgegen. Am Ende der Schicht erfolgte die Tagesabrechnung.
Es gab einen stillen Wettbewerb zwischen manchen Kirchenwächtern, wer die höchste Tageseinnahme unter der Woche schaffte. Ich kann mit stolz behaupten, dass ich oft auf den vorderen Plätzen rangierte und auch mal den ersten Platz machte. Das lag mitunter daran, dass ich mit den Besuchern offen Unterhaltungen pflegte, aber auch Hintergrundmusik laufen ließ. Oder auch an den Luftballons, die ich extra gekauft hatte, um den kleinsten Besuchern eine Freude zu machen.
Obdachloser:
Irgendwann erschien ein Obdachloser in der Kirche. Ein Mann um die 50 oder 60 Jahre, mit weißem Bart und einer Zahnlücke. Er nannte mir zwar seinen richtigen Namen, den konnte ich aufgrund meiner Namensschwäche jedoch nie merken. Nur sein Künstlername, den er mich mal aufschreiben ließ, ist mir geblieben, nämlich „Nicht niemand“. Seine Kleidung wirkte oft wie aus der Kleidersammlung und hin und wieder roch er streng. Das sagte er mir selbst gleich zu Beginn, als ich etwas näher kam. Andere Kirchenbesucher rümpften öfter mal die Nase und waren irritiert.
Seine Wurzeln schienen in Brandenburg. Auch kannte er viele aus dem kirchlichen Umfeld. Mittlerweile war er aber in ganz Deutschland unterwegs und nur ab und zu in Brandenburg. Besonders beeindruckend war, dass er offensichtlich einen recht hohen Bildungsgrad hatte. In den Themenbereichen Religion und auch Philosophie konnte ich ihm im Gespräch nur selten das Wasser reichen. Er besuchte einige Male während meiner Einsatzzeit die Kirche und forderte mich auf, gemeinsam mit ihm etwas zu singen. Dass tat ich gedrungen auch einmal, was ihn sehr freute. Außerdem trug oder sang er mir seine Gedichte vor und hörte sich interessiert auch meine an. Irgendwann schaute er in der Kirche nicht mehr vorbei, was mir aufgrund meiner Bindungsproblematik recht war. Dennoch sahen wir uns einmal zufällig in der Stadt und ich grüßte ihn freundlich. An dem Tag fragte er interessiert und ich trug ihm mein neuestes Gedicht Winterliches Traumfragment vor. Ein paar Tage darauf begegneten wir uns wieder. An dem Tag tat er so, als ob er mich nicht sah und ignorierte mich. Das hatte mich zunächst stark irritiert, war aber unterm Strich total in Ordnung. Vor allem weil mein Verhalten auch sehr widersprüchlich scheinen kann und ich es auf keinen Fall böse meine. Und weil ich jetzt weiß, dass ich ihm beim nächsten Mal ohne schlechtes Gewissen aus dem Weg gehen kann. –
Hier eine kleine Collage an aufgenommenen Aufnahmen vom April 2023:
Die vier Damen und das junge Pärchen:
Von Berlin aus reiste eine kleine Gruppe Rentnerinnen regelmäßig nach Brandenburg. Der ein oder andere Schnaps war da mit von der Partie. Zum Tagesprogramm gehörte immer die Gotthardtkirche. Ein wenig beschwipst beschwatzten mich die Damen etwas anzüglich, aber auf eine sehr freundliche Art. Nach ein wenig Plauderei nutzten sie meistens in der Sakristei eine Sitzgelegenheit und schwatzen einige Stunden untereinander angeregt weiter. Öfter mal so lange, dass ich sie auffordern musste, zu gehen, da die Kirche jetzt schließe. – Ich habe aber immer wieder mal aus freien Stücken die Kirche länger aufgelassen, als vorgeschrieben war. Da erinnere ich mich gerne an ein junges Pärchen, dass kurz vor Schluss in die Kirche kam und armumschlungen auf einer Kirchenbank der Musik lauschte. Ich ließ solange auf, bis viel später eine Orgelmusikerin zum Proben kam. Als ich meine Musik abstellte, nahm die Orgelmusikerin das interessierte Pärchen in die Obhut und bot eine kleine Orgel-Einweisung an. Ich machte indes Feierabend.
Atmosphäre:
Ich erinnere mich gerne an Sommertage zurück, wo recht überraschend starke Gewitter wüteten und ein Platzregen kräftig hernieder goss. Ich kann mich noch erinnern, wie manche Touristen unter dem großen Baum vor der Kirche Schutz suchten und ich aufforderte, mitsamt Fahrrad in die Kirche zu kommen. Es war schon besonders, wenn es draußen dunkel wurde und das spärlich gelbliche Licht der gemütlichen Kirche eine schützende Aura schuf, während draußen der Donner schallte und sich über meine Kirchenmusik legte. In den Momenten fühlte ich mich mit den Gästen irgendwie verbunden. Das war ein sehr schönes Gefühl.
– Aber auch die Weihnachtszeit ist in der Kirche eine sehr schöne Zeit. Und die Hochzeiten sind interessant, bei denen ich selten mal mithelfen sollte, die aber nicht mein persönliches Highlight waren, sondern eher mit Aufregung verbunden waren. Wie bereits erwähnt, erzeugt die Kirche selbst eine schöne Atmosphäre.
Angst und andere Probleme:
…
Verknüpfungsliste
- St. Gotthardtkirche (Die Seite der Kirche)
- Öffnungszeiten Offene Kirche
- St. Gotthardtkirche (Wikipedia)
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